04.01.2023
Bobsport

„Wir sind stolz und das Feedback ist immens“

Erica Fischbach und Tim Restle kümmern sich um die organisatorische und die sportliche Leitung beim Eintracht-Bobsport. Im Interview sprechen sie über Bobsport im Rhein-Main-Gebiet und ihre Zielsetzungen.

Wintersport im schneearmen Rhein-Main-Gebiet – wie passt das zusammen?

Tim Restle: Wir können uns athletisch vorbereiten, wir können Anschubtraining machen, aber im Gegensatz zu anderen Sportarten können wir im Sommer nicht unseren Kernsport, das Bobfahren, ausüben. Und deshalb ist es für uns zunächst das Wichtigste, dass wir sehr gute Rahmenbedingungen für das Athletiktraining haben. Bahnen vor Ort zu haben, ist gar nicht so sehr notwendig. Die Piloten können im Sommer ohnehin kein Bob fahren, für die Anschieber wäre natürlich eine Anschubstrecke ein großer Traum, das ist ja aber auch perspektivisch unser Ziel.

Dass es aktuell keine Anschubstrecke gibt, ist vermutlich ein großer Nachteil?

Tim Restle: Aktuell müssen die Sportler über 200, 300 Kilometer zum Anschieben fahren, das ist sicherlich nicht optimal. Aber das Rhein-Main-Gebiet hat auch einen großen Vorteil – den demografischen Faktor. In den Städten gibt es mehr junge Menschen und ein größeres Sportartenangebot. Natürlich macht es dies einerseits schwieriger, die Talente zu finden, da diese verteilter sind, aber grundsätzlich findet man schon mehr Talente.

Apropos Rekrutierung: wie sieht diese im Bobsport aus?

Tim Restle: Die Besonderheit am Bobsport ist, dass alle vorher eine andere Sportart ausgeübt haben. Im Kindesalter kann man noch nicht Bob fahren und auch im Jugendalter ist es eher ungewöhnlich. Traditionell fängt man erst mit 18 Jahren und älter an. Die jüngste Altersklasse, in der es Wettkämpfe gibt, ist die U23-Altersklasse. Daher ist es natürlich so, dass wir Sportler übernehmen, die in anderen Sportarten aktiv waren. Es gibt zwei große Faktoren, die für unseren Sport und entsprechend für die Rekrutierung wichtig sind: die Schnelligkeit und die Kraft. Klassischerweise wird in der Leichtathletik stark rekrutiert. Zum einen ha- ben diese Sportler eine gute Grundlagenausbildung, die für viele Sportarten wichtig ist. Zum anderen ist es gleichzeitig eine Datensportart, in er man in den Listen durchschauen und selektieren kann, obwohl man den Sportler noch nie gesehen hat. Das ist in anderen Sportarten wie beispielsweise Rugby oder Football aufgrund der fehlenden Daten schwieriger.

Ihr absolviert euer Training in den Trainingsstätten an der Hahnstraße und in Kalbach. Beschreibt uns doch mal, wie wir uns euer Training vorstellen müssen.

Tim Restle: Grundsätzlich ähnelt unser Training dem in der Leichtathletik. Wir haben zwei Schwerpunkte – der eine ist der läuferische Schwerpunkt, der andere das Krafttraining. Letzterer ist etwas ausgeprägter als bei den meisten Sprintern. Das Lauftraining ist Sprintlastig. Hinzu kommt noch eine dritte Komponente, das Anschubtraining.

Stichwort Anschubstrecke. Es soll zukünftig eine in Frankfurt geben. Wie ist hier der Stand der Planungen?

Erica Fischbach: Es hat dazu ein Gespräch zwischen dem Hessischen Innenministerium, der Stadt Frankfurt und der Eintracht gegeben und man hat sich inzwischen geeinigt, dass die Eintracht nun die Anschubstrecke baut – zum einen, weil sie die Gewerke dazu hat, und zum anderen, weil es schneller geht, als wenn die Stadt es bauen würde. Hinzu kommen dann Zuschüsse vom Hessischen Innenministerium und hoffentlich auch von der Stadt. Für Frühjahr 2023 ist angedacht, dass das Gelände an der Hahnstraße ein wenig umgebaut wird und in diesem Zusammenhang soll auch die Anschubstrecke inte- griert werden. Spätestens Ende 2023 wird diese voraussichtlich fertiggestellt sein. Damit könnten wir zukünftig den Zeitaufwand minimieren, der durch die Fahrten zu einer Anschubstrecke draufgeht, und auch Kosten durch den Sprit einsparen.

Wie sieht ein Jahr im Bobsport aus?

Tim Restle: Die Saison beginnt in der Regel Ende September beziehungsweise in diesem Jahr Anfang Oktober mit dem Zentralen Leistungstest. Anschließend folgen der Mannschafsstart- test und zuletzt die Selektionsrennen auf allen deutschen Bahnen – ursprünglich waren das drei, dadurch dass aktuell Königssee wegfällt [durch Unwetter im Jahr 2021; Anm. d. Red.], aktuell auf zwei Bahnen. Bei diesen Ausschei- dungsrennen kann man sich für den Weltcup oder den Europacup qualifizieren. Anschlie- ßend starten die jeweiligen Rennserien und dauern bis Saisonende im März an. Der Saisonhöhepunkt eines Jahres ist meist im Februar. Die Pause nach der Saison variiert je nach Alter des Athleten und im Frühjahr steigen wir in der Regel wieder mit dem Athletiktraining ein.

Für die Anschieber bedeutet der „Zentrale Leistungstest“ dann auch, sich für ein Team zu qualifizieren beziehungsweise sich für einen Piloten zu empfehlen?

Erica Fischbach: Die Wechselfrist zu einem anderen Verein endet zum 1. Juli. Wie die Piloten Verträge machen, ist sehr individuell. Viele werden bereits im Frühjahr, Sommer gemacht, viele Athleten haben aber auch keinen Vertrag. Es ist dennoch eher ungewöhnlich, nach dem Test das Team zu wechseln. Wenn man bisher noch kein Team hat, kriegt man nach einem guten Test aber in der Regel ein Angebot – vor allem bei den Frauen. Außerdem kann man sich mit seiner Leistung für Welt-, und Europacup-Einsätze empfehlen.

Das heißt aber, wenn man kein Team hat oder beim Test zu schlecht war, ist die Saison gelaufen?

Erica Fischbach: Es kann während einer Saison im Bobsport so viel passieren, dann ist die Chance wieder da und man kommt doch noch in ein Team. Außerdem gibt es nach Weihnachten einen zweiten Test, bei dem man sich auch noch für die zweite Saisonhälfte empfehlen kann.

Es gibt im Bobsport verschiedene Wettbewerbe – von den Deutschen Meisterschaften über Europa- und Weltmeisterschaften, Europacups und Weltcups bis hin zu den Olympischen Spielen. Wie ist der jeweilige Stellenwert der Wettbewerbe einzuordnen?

Erica Fischbach: Die Reihenfolge vom Prestige her gesehen ist folgende: Zunächst kommen die Olympischen Spiele, dann die Welt- und Europameisterschaften, auch der Gesamt-Weltcup spielt noch eine besondere Rolle. Und am Ende stehen die Deutschen Meisterschaften. Das ist das Kleinste vom Kleinsten.

Welche Unterschiede gibt es zwischen dem Piloten und dem Anschieber?

Tim Restle: Athletisch gibt es zwischen Piloten und Anschieber keine Unterschiede. Beide haben dieselbe Aufgabe: Sie müssen so schnell wie möglich einen Schlitten anschieben. Allerdings ist ein Sportler Anschieber geworden, weil er schnell anschieben kann, aber nicht jeder Pilot ist wegen seiner Schnelligkeit Pilot geworden. Es gibt Piloten, die startschwach sind und versuchen, am Start nicht zu viel Zeit zu verlieren, und dafür in der Bahn technisch überragend sind. Vom Training her gibt es zwischen Piloten und Anschieber keine Unterschiede. Der Pilot hat allerdings noch viele weitere Aufgaben zu erfüllen: Er muss das Team führen, entsprechend eine Führungspersönlichkeit sein. Er bezahlt das Team, er muss die Sponsoren reinbringen und am Ende entscheiden, welche Besatzung er aufstellt. Der Unterschied zwischen Pilot und Anschieber liegt oft in der Persönlichkeit. Wir spaßen oft und sagen ‚typisch Anschieber‘, wenn jemand wieder etwas vergessen oder nicht mitgedacht hat (lacht). Der Pilot ist daran gewöhnt, immer für andere mitzudenken, und der Anschieber, dass er gesagt bekommt, wann er wo da zu sein hat.

Wir wollen möglichst viele Athleten bei den Olympischen Spielen 2026 dabei haben und um Medaillen kämpfen

Tim Restle

Das klingt nach einem vollen Terminkalender für den Piloten und einem großen finanziellen Risiko ...

Tim Restle: Das stimmt. Er hat schon wesentlich mehr Arbeit, mehr Verantwortung und auch wesentlich mehr finanzielles Risiko als der Anschieber. Er muss die ganzen Investitionen machen. Aber wenn der Pilot oben ankommt, hat er auch Vorteile. Es ist sein Team, sein Name steht auf dem Logo und er steht im Mittelpunkt der Öffentlichkeit.

Was bedeutet für euch der Adler auf der Brust? Wie wird dieser wahrgenommen?

Erica Fischbach: Wir sind stolz und das Feedback ist immens. Solch ein Feedback hatte ich noch nie in meinen gesamten 29 Jahren beim Bobsport. Ich wurde schon von den Sachsen angesprochen, ob ich nicht für sie bei dem Leipziger Fußball-Bundesligisten intervenieren könne (lacht). Die Menschen haben eine Riesenhochachtung von heute auf morgen – und das nur durch den Wechsel zur Eintracht. Wir werden jetzt noch ernster genommen als zuvor und sind auch hundertprozentig angekommen.

Tim Restle: Wenn man wie ich gebürtig aus dem Rhein-Main-Gebiet kommt, ist die Eintracht ein Teil der Rhein-Main-Kultur. Man fühlt sich zugehörig, der Klub ist mehr als ein Verein und steht für bestimmte Werte. Es gab natürlich auch keine bessere Zeit, um in den Verein zu kommen. Die Eintracht hat eine riesige Strahlkraft, öffnet schon Türen und sorgt für extreme Aufmerksamkeit. Es ist schon etwas Schönes, Teil eines starken Klubs zu sein.

Zum Abschluss: Welche Ziele verfolgt ihr?

Erica Fischbach: Noch mehr Athleten bei den Olympischen Spielen 2026 dabei zu haben – neben den Piloten auch noch mehr Anschieber. Mein Ziel ist es außerdem, den Bobsport noch größer und nachhaltiger zu machen. Das heißt, wir müssen von unten mehr aufbauen und brauchen eine größere Bandbreite. Außerdem würden wir gerne noch mehr Athleten aus unserer Region und Hessen rekrutieren.

Tim Restle: Unser Blick richtet sich bereits auf die Olympischen Spiele in Cortina d’Ampezzo im Jahr 2026. Wir wollen einerseits möglichst viele Starter dabei haben, aber dann natürlich auch um Medaillen kämpfen. Und das alles ohne Coronaspiele, vor vielen Zuschauern und hoffentlich mit vielen Familien und Freunden.